Der Schüßler-Spezialist

Nr. 8 - Ausführliche Formulierung der Charakterlandschaft

 

1          Zusammenhänge zwischen Nr. 8 Natrium chloratum und bestimmten charakterlichen Strukturen:

Die charakterliche Landschaft dieses Mineralstoffes ist geprägt von der Enttäuschung. So sehr sich der Mensch bemüht, die Erwartungen der anderen zu erfüllen, es gelingt ihm nicht. Dadurch bleibt ihm jene liebevolle Zuwendung vorenthalten, nach der er sich so sehnt. Alles nur, weil er all zu oft jene Erwartungen erfüllt, von denen er glaubt, dass sie die anderen haben.

 

1.1        Das Selbst

Das Selbst wird durch den anderen. Der amerikanische Sozialphilosoph Herbert Mead arbeitete als erster an dem Problem der Interaktion (Wechselbeziehung) zwischen dem einzelnen und der Welt. Seine zentrale Überlegung war, dass das, was jemand von sich weiß, das ist, was ihm von anderen über ihn gesagt, rückgespiegelt, bestätigt wurde. Im Wissen über sich selbst ist der Mensch vor allem als Kind auf die ihn umgebende Welt angewiesen. Er wird sich seiner selbst bewusst durch die Rückspiegelungen aus der Umwelt. Der Mensch braucht im Prozess seiner Selbstwerdung das Du. Nur über das Du kann er zu sich selbst kommen.

Empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist das Buch von Martin Buber: „Ich und Du“

 

1.2        Konflikte

In dieser Selbstwerdung erlernt der Mensch seine Verhaltensweisen. Vorerst sind sie reine Reaktionen, Einstellungen, die ohne weitere Überlegungen nachvollzogen werden im Sinne einer reinen Anpassung. Im Laufe der Zeit werden die Reaktionen auf das abgestimmt, was zu einer Bestätigung führt, eigentlich zu einer Bestätigung des eigenen Selbst, was immer als Aufwertung empfunden wird. Allmählich stellt er fest, dass von verschiedenen Menschen verschiedenartige Erwartungen kommen, wodurch er unter Umständen eine innerliche Widersprüchlichkeit erleidet.

Er will sich jedesmal an die auf ihn zukommenden Erwartungen einstellen. Sind sie jedoch verschieden, manchmal sogar bei ein und derselben Person, jedoch meistens bei verschiedenen Menschen, muss er Verhaltensformen ausbilden, die nicht miteinander übereinstimmen, sie können unter Umständen einander sogar widersprechen.

Der Widerspruch wird unterdrückt, damit jenes Wohlgefühl entsteht, das durch eine bestätigende Zuwendung entsteht. Vor allem wird sie von den Menschen erheischt, zu denen eine große innere Abhängigkeit besteht. Der Mensch stimmt seine Reaktionen immer wieder auf seine Umgebung und die von ihm geforderten Antworten ab.

 

1.3        Die Berechtigung zum Leben

Immer tiefer senkt sich in sein Dasein die Tatsache, dass die Berechtigung zum Leben verdient werden müsse. Unter bestimmten Bedingungen wird einem zugesprochen, dass man sich den Platz, den man in dieser Welt einnimmt, redlich verdient hat. Es handelt sich dabei um Leistung, Anpassung, eilfertigen bzw. vorauseilenden Gehorsam.

Einen Erfolg erlebt der Mensch, wenn es ihm gelingt, dem anderen die Wünsche von den Augen abzulesen, sowie bei allen Versuchen, ja die Harmonie nicht zu stören und alles, was Unruhe stiftet und unter Umständen lebendig ist, zu unterdrücken.

 Es entsteht die Einstellung, dass nie das Eigene, sondern nur das Fremde, die Bestätigung von außen, gefragt ist. Mit der Zeit entsteht die innere Haltung, auch für sich selbst die Existenzberechtigung von bestimmten Bedingungen abzuleiten. Im Selbstgespräch wird dann formuliert: „Heute war er (ich) wieder einmal fleißig.“ - „Wenn ich mir etwas vergönne, fühle ich mich wohl.“ (Denn dann bin ich wer! So der Gedanke im Hinterkopf.) - „Gestern habe ich mir ein neues Kleid gekauft. Das habe ich mir aber wirklich verdient!“

Die nach innen genommene Vorstellung, dass das Leben erst verdient werden müsse und vor allem durch die Erfüllung von bestimmten Bedingungen, lässt nun in manchen Menschen die Haltung entstehen, die Anforderungen der anderen unbedingt erfüllen zu wollen. Immerhin geht es dabei um die eigene Existenz.

 

1.4         „Vorauseilender Gehorsam“

Damit der andere seine Vorstellungen und Erwartungen gar nicht zu äußern braucht, werden sie ihm schon erfüllt, bevor er sie ausspricht. Das ist die Vorstellung, die sich bei sehr sensiblen Menschen ins Leben hineinpflanzt. Bei diesem „vorauseilenden Dienstgehorsam“ stellt der so irregeführte Mensch aber nicht fest, dass die Bedingungen, die er erfüllen will, seine eigenen Gedanken und Vorstellungen über den anderen sind und unter Umständen mit dem anderen nicht viel zu tun haben. Er wird dabei Opfer seiner eigenen Erwartungen und Projektionen. Es sind die Erwartungen darüber, welche Erwartungen der andere von ihm hat und er projiziert seine eigene Vorstellung vom anderen in den anderen hinein.

Es werden Erwartungen erfüllt, die dem anderen unterstellt wurden.

Bei der Beantwortung der aus der eigenen Vorstellung heraus konstruierten Erwartungen des anderen zeigt sich, dass der andere mit den ihm erfüllten Wünschen gar nichts zu tun hat.[1] Es kommt zu Missverständnissen und Missstimmungen. Leider ist ein in dieser Weise agierender Mensch meistens mit einem zusammen, der ihm nicht zeigt, dass er danebensteht, dass er nicht im Leben steht. Solange dieses Komplott gegen das Leben aufrechterhalten wird, läuft alles wie geschmiert, aber gespielt und unecht. (so genannte Artigkeiten werden erfüllt)

Schwierig wird die Situation, wenn der andere mit den angebotenen Erwartungserfüllungen nicht zufrieden ist, weil sie mit seinen tatsächlichen Erwartungen und Vorstellungen vom Leben nichts zu tun haben. Es entsteht für den Betroffenen ein Teufelskreis, dem er durch weitere Bemühungen entrinnen möchte, in dem er sich noch mehr bemüht. Er schwitzt vor Anstrengung (ununterbrochen), weil er Erwartungen erfüllen will, die „doch auf der Hand liegen“. Das ist doch (scheinbar) sonnenklar. Dabei läuft es ihm heiß und kalt über den Rücken vor Erwartung, wie die von ihm erbrachte Leistung beim anderen ankommt, oder ob es „schon wieder nicht passt“!

Er läuft dabei an sich selber heiß, wohl nur innerlich, aber es hat entsprechende Folgen in seinem Körper, wie aus den vorangegangenen Erläuterungen zu Natrium chloratum hervorgeht. Der Mensch, der an der äußeren Welt heiß läuft, verbraucht sehr viel von Ferrum phosphoricum. Im Gegensatz dazu verbraucht derjenige, dessen Verhalten an fixierten inneren Bildern, Vorstellungen und Vorurteilen heiß läuft, viel von der Nummer 8. Eine Reaktion, die als Folge der Enttäuschung dann zu hören ist, lautet folgendermaßen: „Dir kann ich es ja nie recht machen!“

Man glaubt zurecht nun „verschnupft“ sein zu dürfen!

 

1.5        Schmollen

An der Reaktion zeigt sich dann die Unbeholfenheit der Situation gegenüber. Es wird geschmollt. Der sich nach seinen eigenen Vorstellungen unentwegt Abmühende zeigt sich gekränkt. Er trotzt unter Umständen, gibt seinen Unwillen kund oder schweigt innerlich aufgebracht. Der Betroffene fühlt sich ungerecht behandelt, weil der andere auf die Handlungsmodelle, die er ihm unterschwellig, ohne es zu wissen, unterstellt hatte, nicht eingegangen ist, ihnen nicht gerecht wurde.[2]

Wir haben gesehen, dass sich die Menschen mit den eben beschriebenen Verhaltensweisen nicht im Leben befinden. Sie stehen eigentlich nicht „daneben“, sondern bilden eine nach innen orientierte Kugel, die sich an der Welt reibt. Bezeichnend ist die Reaktion, die sich oftmals auf die scheinbare Enttäuschung hin zeigt. Der eingebildet Gekränkte geht symbolisch oder gar auch äußerlich in den Schmollwinkel. Er zieht sich vom Leben und den Mitmenschen, wenn auch nur vorübergehend, zurück, bis er die Enttäuschung “geschluckt“ hat. Möglicherweise entsteht dabei das bekannte Globusgefühl im Hals, weil er die Enttäuschung in Wirklichkeit gar nicht schlucken will. Allerdings beginnt der Teufelskreis immer wieder von vorne, solange, bis sich die Verkapselung langsam öffnet.

 

1.6        Trennung von Menschen

Leider kommt es viel zu oft nicht zur Öffnung der Kapsel, sondern eher zu einer Trennung von den Menschen, die „so wenig Verständnis und Einfühlungsvermögen haben.“ Denn Schuld haben immer die anderen. „Von dir will ich nichts mehr wissen, denn du weißt es ja gar nicht zu schätzen, was ich alles für dich getan habe!“, wird dann den Menschen vorgeworfen, die sich lediglich nicht bevormunden lassen wollten. Sie haben sich Erwartungen, die sie gar nicht hatten, nicht „hineindrücken“ lassen.

An diesem Punkt wird sehr gut verständlich, dass manch wohlgemeinte Tat in Wirklichkeit Egoismus war, unter Umständen extremer Egoismus ist im Sinne des auf sich Aufmerksam-Machens, wie gut „man doch das Leben verstünde, und dass man doch gar nicht anders handeln könne als richtig.“ Ja, es bleibt für den von den auswendig gelernten Lebensmodellen Geplagten völlig unverständlich, wie die Welt auf ihn reagiert.

 

1.7        Hollywoodideal von Liebe

„Wer seinen Partner wirklich liebt, liest ihm seine Wünsche von den Augen ab“

Wenn jemand in diesem Ideal verfangen ist, wird er nicht nur Nr. 8 Natrium chloratum verbrauchen, sondern wegen der damit verbundenen Anstrengungen viel von Nr. 5 Kalium phosphoricum.

Letztlich ist er in der Zwickmühle. Er muss sich ja nicht nur innerlich gegen dieses Ideal zur Wehr setzen, sondern es besteht die Gefahr, dass ihm sein Partner, wenn er ihn nach seinen Wünschen nun wirklich fragen würde, zur Antwort gibt: „Wenn du mich liebst, müsstest du das ja eigentlich wissen!“

 

1.8        Fixierung

Im Versuch, mit den immer gleichen Antworten sich auf das Leben einzustellen, entsteht eine Fixierung und auf der körperlichen Ebene eine Erstarrung, die sich unter Umständen anfänglich im Knacken der Gelenke zeigt, später in deren Unbeweglichkeit, wie es bei Rheuma und Gicht der Fall ist. Diese Deutungen sind nur fakultative, das heißt mögliche, auf keinen Fall zwingende!

Eine Parallele zeigt sich auch noch im Phänomen des Staues. Auf der körperlichen Ebene zeigt sich der Natrium chloratum Mangel unter anderem durch einen Flüssigkeitsstau oder Hitzestau. Auf der charakterlichen Ebene zeigt sich der „Stau des Lebens“. Der Fluss des Lebens stockt, weil es auf bestimmte Verhaltensmodelle, Strukturmodelle festgeschrieben wird, das Leben auf bestimmte Geleise festgefahren ist, es nach kleinkarierten Mustern abläuft. [3]

 

1.9        Die große Enttäuschung

Hinter all den mühevollen Anstrengungen steht die Angst, dass alles umsonst ist. Es kann doch nicht möglich sein, dass alles, wie man die Welt verstanden hat, und wie man auf die Anforderungen geantwortet hat, falsch gewesen sei. Tatsächlich war ja letztlich sein Handeln nicht falsch. Nur konnte er nicht feststellen, dass seine Handlungen und Reaktionen, durch die er sich auf das Leben einstellt, nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen. Sie waren vielleicht in seiner Kindheit oder Jugendzeit gefragt. Viel Mühe wurde aufgewendet, sie auszubilden. Je größer die Mühe, umso intensiver wird an den ausgeformten Verhaltensweisen festgehalten.

Wenn dieses Verhalten jedoch traumatisch, zwanghaft verursacht ist, wird es nur durch eine gute Beratung verändert werden können.

Hinter vielen Abwehrreaktionen steht die Angst zu entdecken, dass die Erfüllung der Erwartungen, die man an sich selbst richtet, unmöglich ist. Von der Qual der Mühsal, diesen hohen Anforderungen zu entsprechen, war das eigene Handeln geprägt. Es ist einfach ein Ding der Unmöglichkeit, von der Vorstellung auszugehen, die Erwartungen des anderen wissen zu können, ohne ihn gefragt zu haben.

So manche Tochter hat schon zu ihrer verkrampften Mutter gesagt: „Mama gar nicht mal dran denken!“ an die Vorstellungen, Fixierungen, wie das Leben zu sein hätte.

 

1.10     Täuschungen

Menschen, die in ihrem Leben von besonderen Nöten und Schwierigkeiten geplagt waren und vielleicht auch noch sind, haben die Tendenz, auf alles eine Antwort wissen zu müssen.[4] Sie können stundenlang grübeln, um auf eine verzwickte Frage eine Antwort zu bekommen, obwohl sie gar nicht mit dem Problem konfrontiert sind. Aber es könnte ja der Fall eintreten, dass sich ihnen tatsächlich einmal dieses Problem auch persönlich stellen könnte. Sie stellen durch die Zwanghaftigkeit, für alles eine Antwort parat haben zu müssen, gar nicht mehr fest, welche Probleme tatsächlich jemals in ihrem Leben an sie herantreten könnten. Vor allem aber haben sie den Mut verloren, auf eine Situation spontan zugehen zu können, ohne Modell, ohne Antwort, ohne Rezept, unter Umständen hilflos oder gar ohnmächtig.

 

1.11     Neue Antworten

Aber erst in dieser Haltung kann etwas Neues, noch nicht Gewusstes in das Leben eines Menschen eintreten. Viktor Frankl hat das auf seine Weise formuliert: „Nicht wir sind es, die das Leben zu befragen haben, sondern das Leben befragt uns!“

So stellt uns das Leben immer wieder neue Fragen, für die wir immer wieder auch neue Antworten finden müssen. Dann verliert sich die Angst, vom Leben auf das Leben selbst hin befragt zu werden, nämlich auf das immer Neue, Ursprüngliche, Unerwartete. Dann gewinnt die Zuversicht Raum, in erfinderischer, intuitiver Weise immer neue Gestalt zu gewinnen in den Wandlungen des Lebens.

Im Eingehen auf viele Lebensmodelle, auch auf die des anderen, und im Entwickeln und Finden der Situation angemessenen Handlungsweise kommt der Mensch in den Fluss des Lebens. Er wird dann dem Leben gerecht, so dass jene Organe, die den Sitz der Gerechtigkeit darstellen, nämlich die Nieren, nicht mehr leiden müssen. Natrium chloratum entfernt auf der körperlichen Ebene das Fremde, das Gift aus dem Körper und gibt auf der charakterlichen Ebene den Impuls, das Fremde, nämlich die auswendig gelernten Modelle, abzulegen, und eigene Handlungsweisen für die jeweilige Situation zu entwickeln.

Neugierde und Abenteuerlust sind die Hoffnungsträger für ein lebendiges Leben.

 

1.12     Weitere Punkte, die hier besprochen werden können:

Ich bedanke mich soviel, wie ich mich gefreut habe.

Mit der Ihnen gebührenden Hochachtung.

Neugierige Leute sterben bald.

Mit dem Menschen kann ich ja was reden, aber mit den Leuten?

Unbekannt: „Jeder Mensch wird als Original geboren, doch die meisten sterben als Kopie.“

Albert Einstein: „Es ist eine große Tragik, dass aus so vielen abenteuerlustigen, neugierigen, lebendigen Kindern so viele langweilige Erwachsene  werden.“

Paul Watzlawik: „Anleitung zum Unglücklichsein“.

 

Affirmation

Die befreiende Einstellung zu diesem Mineralstoff heißt: „Ich muss die Erwartungen der anderen nicht erraten, sondern ich kann sie fragen.“


 

[1] Empfehlenswert in diesem Zusammenhang: Watzlawick, Paul: Anleitung zum Unglücklichsein, München:

R. Piper & Co. Verlag, 1983, 34. Auflage 1992, Seite 74 - Die Geschichte mit den Corn Flakes

[2] Die Menschen leben ein ritualisiertes Leben, festgeschriebene Modelle, die auf der körperlichen Ebene mit Gelenksdeformationen, im Besonderen mit Knorpeldegeneration, und mit Gicht korrespondieren.

[3] Geleise und Gräber unterscheiden sich durch ihre Tiefe.

Fahren wie auf Schienen.

[4] Diese Situation kann durchaus mit einem hohen Blutdruck in Verbindung gebracht werden.