Der Schüßler-Spezialist

Nr. 7 - Ausführliche Formulierung der Charakterlandschaft

 

1          Zusammenhänge zwischen Nr. 7 Magnesium phosphoricum und charakterlichen Strukturen

Eine unterschwellige Spannung, die dem einzelnen oft selbst nicht spürbar ist, belastet nicht nur die Nerven, sondern hat auch einen großen Verbrauch an Nr.7 Magnesium phosphoricum zur Folge.

 

1.1        Vorbemerkung

Die beiden ersten Mineralstoffe Calcium fluoratum und Calcium phosphoricum hatten in ihren Zusammenhängen mit charakterlichen Strukturen einen auf die äußere Welt gerichteten Blick. Der erste war von der Frage: „Wie stehe ich vor den anderen da?“ gekennzeichnet. Der zweite hatte die Befürchtung: „Hilfe, ich werde übersehen!“ zum Inhalt.

Der sechste Mineralstoff, Kalium sulfuricum, ist von einem auf die innere Welt ausgerichteten Blick gekennzeichnet. Obwohl sich der Mensch ununterbrochen nach außen orientiert, entsteht von innen ein Druck.

Dieser Druck, der vor allem dann mit Calcium phosphoricum – Nr. 2 in Verbindung steht, wird genährt vom Vermeidungsverhalten, das ihn vor Situationen zurückschrecken lässt, denen er nicht gewachsen ist. Sie würden ihn an Situationen erinnern, die gefühlsmäßig so gewalttätig waren, dass er sie nicht verarbeiten konnte. Es schlummern immer noch unverdaute Reste in den Tiefen seiner Seele. Diese verursachen, dass er ihnen „unbewusst“, besser formuliert: ohne es zu fühlen oder zu spüren, aus dem Weg gehen möchte. Das Vermeidungsverhalten macht das Leben unter Umständen sehr eng.

 

1.2        Selbstbestätigung

Der siebte Mineralstoff, Magnesium phosphoricum, ist ebenso ein nach innen gerichteter Mineralstoff. Er hat mit der Spannung zu tun, mit der versucht wird, auf die Anforderungen aus der Umgebung zu antworten. Es ist die große Sehnsucht des Menschen, vor den anderen bestehen zu können und dadurch etwas zu gelten. Er möchte gesehen werden, weil er dadurch das Gefühl hat, dass es ihn gibt. Viele Menschen leiten aus dieser Bestätigung, der Selbstbestätigung, das Gefühl für den Wert ab, den sie für sich empfinden. Allerdings kann diese Selbstbestätigung nur einen vorläufigen Wert darstellen, weil es im Verlauf des Älter- und Reiferwerdens um die Entdeckung des Eigenwertes geht, um ein Wertgefühl, das unabhängig von der Bestätigung durch andere ist.

 

1.3        Spannung

„Kann ich das überhaupt?“ Ein Mensch mit einem Hang, sich selbst zu entwerten, sich selbst in Frage zu stellen, hat zwangläufig ein Problem mit seinem Selbstwert, er landet in einer gewissen Minderwertigkeit.[1] Er hat dann, wenn er sich irgendwo nicht auskennt, nicht einmal den Mut zum Fragen!

Die Spannung, der jemand ausgesetzt ist, der nicht bestätigt wird bzw. ein Erlebnis der Minderwertigkeit erfährt, ist umso höher, je größer die Not in der Kindheit war, je schlimmere Konsequenzen es hatte, wenn die geforderten Erwartungen nicht erfüllt wurden. Der Mensch nimmt, wie wir schon bei anderen Beschreibungen charakterlicher Zusammenhänge gesehen haben, die an ihn gestellten Forderungen nach innen und richtet sie dann ganz selbstverständlich an sich selbst. Damit kann er von vornherein der Gefahr vorbeugen, an ihn gerichtete Erwartungen bzw. Forderungen zu übersehen.

 

1.4        Scham, genieren

Lassen sich die Forderungen trotz aller Bemühungen nicht erfüllen, wird die innere Spannung nach außen sichtbar. Es entsteht das Gefühl der Scham, auf welches hier näher eingegangen wird.

Viktor E. Frankl, der Begründer der „dritten Wiener Schule“ in der Psychotherapie, stellt als Grundsatz folgende Forderung auf: „Es ist die vornehmste Pflicht des Therapeuten, den Klienten nicht zu beschämen!“

Wenn diese Forderung für Therapeuten von so grundlegender Bedeutung ist, dann wäre sie auch für alle anderen Menschen ein wichtiger Fingerzeig, worauf im alltäglichen Zusammenleben besonders geachtet werden sollte.

Mit Scham wird ein Gefühl beschrieben, das jemand erlebt, der bloßgestellt wird, entblößt. Es handelt sich dabei um Erlebnisse des Versagens, der Minderwertigkeit, der Überforderungen, des Erwartungserfüllungsdruckes.

Viele Formulierungen des alltäglichen Lebens haben die Bloßstellung des anderen, vielfach oft unbeabsichtigt, zum Inhalt: „Das hätten Sie aber schon wissen können (müssen)!“ - „In Deinem Alter habe ich schon ganz andere Sachen bewältigen müssen.“ - „Das gehört nun einmal zur Allgemeinbildung!“ – „Das gehört eben zu einer guten Allgemeinbildung“ - „Was, Sie haben nicht einmal einen Führerschein?“ - „Das müssten Sie sich aber schon leisten können!“ - „Das kannst Du immer noch nicht?“ - „Warum haben Sie das nicht geschafft?“ - „Das weiß doch jedes Kind!“ - „Benehmen ist nun eben eine Bildungsfrage!“ - „Das ist doch nur eine Frage der Selbstbeherrschung!“ - „Mit Dir ist aber überhaupt nichts anzufangen.“ - „Auf der Ebene rede ich mit Dir gar nicht!“ - „Aus der Schicht, aus der Sie kommen, könnte ich mir schon vorstellen, dass Sie das nicht gelernt haben.“ - „Bei dem Umgang, den Sie pflegen, wundert mich das nicht.“ - „Schämst Du dich nicht?“

 

1.5        Spott, Hohn

Eine ganz besonders verletzende Ebene der Beschämung ist der Bereich der Verspottung, der Verhöhnung, der Ironie, des Zynismus und der Herabsetzung vor anderen. Allerdings liegt dem Ganzen ein Teufelskreis zugrunde. Nur jemand, der selbst Verletzungen in seinem Selbstwert hat und sich dadurch minderwertig fühlt, wird sich zu solchen „Spielen“ hinreißen lassen! Solange nämlich ein anderer „dran ist“, besteht keine Gefahr, selbst als Zielscheibe im Mittelpunkt zu stehen.

Immer wieder wird von dem Betroffenen erlebt, dass es da etwas gibt, oder dass er etwas an sich hat, was minderwertig ist. Es wäre besser gewesen, wenn es im Verborgenen geblieben wäre. Das Gefühl der Minderwertigkeit kommt aus dem Bereich des Selbstverständnisses. Die Erfüllung von Forderungen steht im Mittelpunkt. Dabei kommt es nicht auf das Bemühen an, sondern einzig und allein auf das Ergebnis. Das ist unbarmherzig!

 

1.6        Diskriminierung der Frau

Unter Scham werden auf der körperlichen Ebene die äußeren weiblichen Geschlechtsorgane (Vulva) verstanden. Nicht umsonst! Die Frau war und ist bis heute noch in manchen Gebieten der Welt das minderwertige Wesen. Der Mann konnte mit ihr tun und lassen, was er wollte. Die Verfügungsgewalt des Mannes über die Frau als sein Besitz stellt die Minderwertigkeit besonders drastisch dar. War die Frau ihrer Kleider beraubt, waren die Geschlechtsmerkmale das Kennzeichen, das ihre Minderwertigkeit dokumentierte und derer sie sich schämen musste.

Die Beschneidung[2] der Frau im Orient, im Bereich des Islam auch in Afrika, ist eine besonders grausame Demütigung, welche sie nicht nur der Freude über ihre Geschlechtlichkeit beraubt, sondern auch jede Lust verhindert.

Im Hinduismus stellt sich die Minderwertigkeit der Frau auf besonders vernichtende Art auch dadurch dar, dass Witwen verbrannt wurden, was manchmal heute noch passiert.

Allerdings wurde auch im Bereich der katholischen und in den ihr nachfolgenden abgespaltenen Kirchen durch die durch manche Kirchenvertreter erfolgte problematische Geschlechtserziehung die Sexualität als etwas Verachtenswertes und so Niederes dargestellt, dass sich jeder, der sich damit abgab, schämen musste. Deshalb galt sogar die Nacktheit als etwas Unwürdiges, wenigstens aber als etwas Unschickliches. Daraus folgte, dass berühmte Werke, die nackte Personen darstellten, übermalt wurden.

Die Entblößung, die Aufdeckung des Minderwertigen, verursacht eine große Enge, die die Spannung, mit der sich der Betroffene im Leben behaupten wollte, vergrößert. Ist damit noch das Gefühl verbunden, sich etwas anzumaßen, was einem gar nicht zusteht, ist die Bloßstellung noch verschärft. Die Drüsen, die Nerven und vor allem das Herz verbrauchen bei der damit verbundenen Spannung, welche das starke Gefühl der Bloßstellung begleiten, besonders viel Magnesium phosphoricum, was sich im Gesicht als Schamröte zeigt.

 

1.7        Blamage

Eine weitere besondere Form in diesem besonderen Bereich stellt die Blamage dar. Dabei geht es auch um eine Bloßstellung, aber der Betroffene fügt sie sich selber zu.

Es kann sein, dass er sich in Situationen begibt, in denen bestimmte Erfordernisse wie Können oder Wissen gefragt sind. Bei genügender Selbsterkenntnis hätte er dieses Defizit feststellen können und hätte sich der Möglichkeit, dass seine Darstellung als Anmaßung empfunden wird, nicht ausgesetzt. Andererseits ist es auch leicht denkbar, dass er sich in Situationen begibt, die er im Voraus nicht abwägen konnte und in denen er versagte. Er erlebt sich unnötigerweise vor den anderen beschämt und bloßgestellt.

Sehr problematisch ist es, wenn jemand sein Wertgefühl an das würdige oder erfolgreiche Bestehen eines anderen koppelt. Immer wieder sagen Mütter zu ihren Kindern: „Blamier mich bitte nicht!“ Das Kind, das auf diese Weise belastet wird, erlebt den Druck zweifach. Einerseits muss es die Situation für sich bestehen, andererseits steht es unter Druck, dass es „Schande über die Mutter bringen“ könnte! Dieser Druck wird ausgeübt, nicht nur was das Können, sondern auch was Benehmen, Schicklichkeit und Aussehen, vor allem was die Kleidung anlangt.

Viele Frauen haben unter dem Satz „Schande über die Familie zu bringen“ sehr gelitten. Noch dazu, wenn dieser Satz mit folgendem verknüpft wurde: „Das würde ich nicht überleben!“

Aber auch bei Ehepaaren findet man immer wieder diese Verhaltensmuster. So behauptet mitunter die Frau, die sich um die Kleidung des Mannes kümmert: „Zieh Dich bitte ordentlich an. Was sollen die Leute von mir denken? Du weißt doch, das fällt alles auf mich zurück!“ Oft genug gibt es Situationen, in denen ein Partner in einer Gesellschaft den anderen am liebsten verstecken würde, weil er sich so sehr „für den anderen schämen muss“. [3]

Weltberühmt ist die Szene beim Rennen in Ascot aus „My Fair Lady“, bei der Eliza, das einfache Blumenmädchen, vor dem versammelten, erlauchten, vornehmen Publikum, vor dem sie ihren Lernerfolg in der exakten Aussprache der englischen Sprache demonstrieren sollte, in ihrer vulgären Sprache hinausschreit: „Streu ihr doch Pfeffer in den Arsch!“ Gemeint ist das Pferd, von dem sie wollte, dass es gewinne. Damit ist der Auftritt beendet und es folgt eine aufgeregte Szene zu Hause, in der sie von Professor Higgins beschimpft wird und er ihr heftige Vorhaltungen macht über die Blamage, die sie ihm angeblich zugefügt hat. Er nimmt sie als Person eigentlich gar nicht wahr, sondern benützt sie zur Demonstration seines Könnens lediglich als Werkzeug.[4]

 

1.8        Unterdrückung der Gefühle

Wenn man sich seiner Gefühle schämen muss!

Ein mangelnder Selbstwert genauso wie ein blockierter Zugang zum Eigenwert sind in gleicher Weise geeignet, Erlebnisse der Minderwertigkeit, begleitet von entsprechenden Gefühlen zu verursachen.

Hat das Kind gelernt, seine Gefühle, besonders Tränen, „tapfer“ zu unterdrücken, wird es sich als Erwachsener aus Scham schwer tun, Tränen zuzulassen. Immer wieder werden in Situationen, die zum Weinen sind, die Tränen unterdrückt werden. Nicht, weil die Umgebung den Ausdruck des Schmerzes, des Leidens nicht ertragen würde, sondern weil im Inneren so viele Blockaden aufgebaut sind, dass sie nicht möglich sind. Zu diesem Bereich gehören auch Erlebnisse der Schwäche, der Hilflosigkeit, aber auch Erlebnisse einer besonderen Sensibilität, von denen empfunden wird, sie vor einer Umgebung, die darüber nur ein „müdes“, wenn nicht gar spöttisches Lächeln, übrig hat, verstecken zu müssen.

An vorderster Stelle stehen bei diesem Erleben die Gefühle, welche eine Minderwertigkeit, eine Missachtung oder gar eine Herabsetzung in Erinnerung rufen, die in solchen oder ähnlichen Situationen als Kind erlebt wurden. Der Mensch schämt sich dann vor sich selbst und nicht vor den anderen.

 

1.9        Trösten oder Trost

Trösten hält den Schmerz des anderen nicht aus. Trost steht dem anderen in seinem Schmerz bei.

Häufig heißt es dann aus der Umgebung: „Es ist doch gar nicht so schlimm!“ - „So ernst hättest Du das aber nicht zu nehmen brauchen.“ - „Tränen sind doch keine Schande!“ - „Hab Dich mal nicht so!“ - „Das geht schon wieder vorbei.“ - „So schlimm kann das doch gar nicht sein!“ Alle Appelle, Tröstungen oder Beschwichtigungen sind in diesen Momenten allerdings unangebracht, weil sie das innere Leben des betroffenen Menschen nicht ernst nehmen.[5] Zuerst braucht es die Geduld, bis die starke innere emotionale Bewegung wieder ruhiger wird. Dann ist es möglich, auf den Vorgang, der sich abgespielt hat, einzugehen und darüber zu sprechen.

Der zweite Mineralstoff nach Dr. Schüßler, Calcium phosphoricum, hat vor allem mit der Spannung in den Muskeln zu tun. Magnesium phosphoricum hingegen steht mit der unterschwelligen Spannung, welche die Nerven, das Herz und die Drüsen und damit die Gefühle betrifft, in Zusammenhang. Diese Spannung ist dem einzelnen nicht „bewusst“, er kann sie auch nicht spüren. Sie hat aber einen großen Einfluss auf alle Vorgänge im Körper.

 

1.10     Lockerung

Eine Lockerung der Anspannung und Haltung, mit der man unentwegt auf mögliche Gefährdungen lauert, besteht in der Ermutigung, in das eigene Leben und die damit verbundene Fähigkeit zur Lebensbewältigung Vertrauen zu gewinnen. Eine von außen herangetragene Entwertung, Herabsetzung und Entwürdigung kann den Eigenwert, den eigentlichen Wert, der jemandem „zu eigen“ ist, nicht schmälern.

In der Arbeit an den Gefühlen ist dabei oft festzustellen, dass ein großer Aufholbedarf in der Entwicklung einer altersgemäßen Gefühlswelt besteht. Meistens stecken die betroffenen Menschen gefühlsmäßig noch „in den Kinderschuhen“. Sie reagieren auf bestimmte Erlebnisse als erwachsene Menschen gefühlsmäßig noch immer so, wie sie es in ihrer Kindheit bei entsprechenden ähnlichen Situationen erfahren, „gelernt“ bzw. eingeübt haben.

Dann heißt es oft genug: „Er/Sie benimmt sich wie ein Kind!“ (und ist schon 45!)

 

Affirmation

Die befreiende Einstellung zu diesem Mineralstoff heißt: „Ich muss nicht mehr können, als ich in mir vorfinde. Aber ich werde verbessern, was mir möglich ist.“


 

[1] Häufig wird solchen Menschen zu Unrecht „fishing for compliments“ unterstellt.

[2] Eigentlich eine Verstümmelung

[3] Wir sind hier nicht mehr weit von dem Satz entfernt: „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“

[4] Ausführlich wird diese Thematik behandelt in:

Hollenweger, Walter J.: Interkulturelle Theologie - 1. Erfahrungen der Leibhaftigkeit, München: Christian Kaiser Verlag, 2. Auflage 1990, 6. Kapitel, Seite 107ff

[5] In Trauerfällen nimmt viel Reden den Schmerz auch nicht ernst, denn hier hat Viktor Frankl recht, wenn er sagt: „Wo alle Wörter zu wenig sind, ist jedes Wort zuviel.“