Der Schüßler-Spezialist

Nr. 6 - Ausführliche Formulierung der Charakterlandschaft

 

1          Zusammenhänge zwischen Nr. 6 Kalium sulfuricum und charakterlichen Strukturen

Der Mensch ist in seinem Leben darauf angewiesen, dass er wahrgenommen wird. Er braucht ein Gegenüber, zu dem er in Beziehung treten kann. Fehlt es ihm, wird er sich bemühen, das Wohlwollen jener Menschen zu erlangen, die ihm nahe stehen. Dabei ist ihm vor allem die Erfüllung der Erwartungen, Forderungen und Wünsche, die ihm entgegengebracht werden, von allergrößter Bedeutung. Leider geht das dann so weit, dass er sogar Erwartungen erfüllt, die er seinen Mitmenschen unterstellt, vielleicht aufgrund von Erfahrungen, die sich in ihn hinein tief eingegraben haben.

 

1.1         Ärger

Ein wesentlicher Punkt bei Nr. 6 Kalium sulfuricum ist die anerzogene Selbstverleugnung, die zum Ärger führt, wenn man sich endlich selbst auf die Schliche kommt.

Das Kalium sulfuricum wird immer wieder mit dem Phänomen des Ärgers in Zusammenhang gebracht. Nun gibt es aber im Verständnis darüber, was Ärger ist, viele Missverständnisse. Im Allgemeinen wird darunter verstanden, dass jemand Grund hat, sich über einen anderen zu ärgern. Die Ursache besteht darin, dass die eigene Vorstellung vom Leben oder die Forderung, die man an sich selbst richtet, auch an den anderen gestellt wird, vom anderen aber nicht erfüllt wird. Daraus entsteht ein Gefühl des Ungehalten-Seins dem anderen gegenüber. Es entstehen Gefühle der Unwilligkeit, der Ablehnung und im Extremfall bis hin zur Absicht, den anderen vernichten zu wollen.

Der Ärger beginnt immer mit dem Vergleich eines Bildes vom Leben, einer Vorstellung vom Leben oder eines Selbstverständnisses (das ist das Bild das jemand von sich selbst hat) mit dem, was sich ereignet. Kommt es zu einer Diskrepanz, zu einem Auseinanderklaffen der sich ereignenden äußeren Realität mit den inneren Forderungen, die von den Vorstellungen ausgehen, wie das Leben zu sein hat, entsteht ein Konflikt. In diesem wird den meistens in der Kindheit nach innen genommenen Forderungen, die in einem „anständigen“ Leben zu erfüllen sind, „recht“ gegeben. Sie werden dem Leben übergestülpt. Daraus wird das gute Gefühl abgeleitet, sich über jemanden, der zum Beispiel nicht weiß, wie „man sich zu benehmen hat“, wie man sich für eine Familie aufzuopfern hat, welchen Einsatz man im Beruf zu zeigen hat, und dergleichen mehr, ärgern zu dürfen, ja eigentlich, sich ärgern zu müssen.[1]

Im Hinblick auf die aufgezeigten Zusammenhänge lässt sich formulieren, dass der Ärger dadurch entsteht, dass jemand nicht bereit ist, sich den gleichen Zwängen zu unterwerfen, welchen jener ausgeliefert ist, der sich ärgert. Der Ärger hat auf der körperlichen Ebene mit einer Spannung im Bauchbereich zu tun, welche mit dem Mineralstoff Kalium sulfuricum und der Bauchspeicheldrüse verbunden ist. Wird der Ärger sehr stark, dann kippt er um in Hass, was ebenfalls mit Spannungen im Bauch aber dann mit dem Mineralstoff Natrium sulfuricum und mit der Leber bzw. Galle zu tun hat. Der Übergang von Ärger zum Hass ist ein fließender, ebenso wie auch der Übergang von einem Mineralstoff zum anderen.

Eine häufige Bemerkung in diesem Zusammenhang heißt: „Seinem Ärger Luft machen.“

 

1.2        Selbstverleugnung

Man beachte die Wortverschlechterung von: eigenwillig, eigenartig, eigensinnig.

Gehen wir allerdings den Ursprüngen des Ärgers nach, werden wir Zusammenhänge entdecken, welche für die Menschen von allergrößter Bedeutung sind, die sich leicht ärgern. Es sind diese jedoch immerhin dem Leben schon näher, als solche, die sich die Reaktion des Ärgers verbieten, „weil sich das nicht gehört!“

Um die Hintergründe aufzudecken, ist es von Bedeutung, auf die Kindheit einzugehen. In der frühen Zeit des Mensch-Seins werden Strukturen und Strategien erlernt und geübt, wie das Leben gehen soll. Treten in dieser Zeit besonders belastende, drückende, ja fast erdrückende Situationen auf, müssen Überlebensstrategien gelernt werden. Das trifft besonders auf sensible Menschen zu, denen alles sehr tief geht.

 

1.3        Aufmerksamkeitshaltung der Welt gegenüber

Aus der Praxis: Eine Frau wuchs in einer ländlichen Gegend auf dem Bauernhof auf. Sie erlebte als Kind eine besonders schwere Zeit. Wenn der jähzornige, alkoholabhängige Vater nach Hause kam, verkrochen sich die Kinder in das Schlafzimmer. Nur die Mutter, die in einer abgestumpften Resignation ihre nie enden wollende Arbeit verrichtete, konnte nicht ausweichen und war dem gewalttätigen Mann ausgeliefert. Die Kinder mussten die Schmerzen und das Elend der gequälten Frau miterleben. Es war eine Geschichte des Schreckens, der Angst und der Panik. Da diese Erlebnisse gefühlsmäßig unerträglich waren, mussten sie verdrängt werden.

 Das Mädchen musste auf alles verzichten, was eigenes Leben auch nur ansatzweise ausdrücken könnte oder gar ausmacht. Es durfte keine eigene Meinung geäußert und kein Widerspruch gezeigt werden, auch war ihr das Lachen vergangen. Die Innenwelt, die sie mit ihrer regen Phantasie aufbaute, war ihre Heimat, in die sie flüchten konnte.

Sie hatte mit all der ihr zur Verfügung stehenden Sensibilität versucht, festzustellen, was der Vater wollte. Sie klebte nicht nur am Vater, sie war eigentlich in ihm drinnen.

Sie klebte an der Außenwelt, mit der großen Anspannung, ja nichts zu übersehen, was von ihr verlangt werden könnte, damit nicht die (gefühlsmäßige) Vernichtung in Form von unerträglichem Gebrüll oder gar in Form von Prügeln über sie hereinbricht. Als Vorbild hatte sie die Mutter, von der sie die entsprechenden Handlungsmodelle kopieren konnte. Den Forderungen der Mutter war sie insofern hilflos ausgeliefert, als sie ihr durch Nichtbefolgen von Forderungen oder Erwartungen keine zusätzlichen Qualen bereiten wollte. Außerdem hatte sie bis zum zwölften Lebensjahr kein eigenes Bett und keine Ecke, wo sie ihr Eigenes (Spielsachen) hätte aufbewahren können. Sie fand sich im Leben nicht vor. Es gab sie gefühlsmäßig auch für sie selbst nicht, da sie sich nicht erleben konnte.

Als sie mit 15 Jahren der Mutter gegenüber das erste Mal ihre eigene Meinung zum Ausdruck brachte, konnte diese das gar nicht verstehen, dass es so etwas überhaupt gibt. Sie sagte zu ihrer Tochter: „Was du jetzt für ein eigenartiges Mädchen wirst.“

Sie hat sich später, da sie das Leben nicht besser verstand, einen Mann gesucht, der das Leben, wie sie es kannte, als Leiden weiter fortsetzte. Die Leidensgeschichte als Entmündigungs-, Folter- und Unterdrückungsgeschichte wurde fortgeschrieben. Er hat ihr alles vorgeschrieben und über sie bestimmt. Sehr spät konnte sie in ihrem Dasein zum eigenen Leben kommen, was aber nur über eine Scheidung von ihrem Mann, der ihrem Vater sehr ähnlich war, möglich war. (Er war nämlich nicht bereit gewesen, seine Strukturen in dem Maße zu ändern, als es seiner Frau möglich war, sich aus dem inneren Gefängnis herauszuarbeiten.)

In den Beratungsgesprächen, in denen sie die in der Kindheit eingeübten, verinnerlichten Fehlhaltungen und die damit verbundenen Fehlspannungen bearbeitete, tauchte so manches bittere Bild auf. Die Bitterkeit und Trauer über die Schmerzen und Verletzungen konnten sich anfangs in Weinkrämpfen und später des Öfteren in Tränen lockern und lösen.

 

1.4         „Atemlos“

Im Körper entsteht durch die innere Situation eine starke Verkrampfung. Zuerst erfasst diese Verkrampfung die Lungen, es wird der Atem angehalten. Hält dieser Krampf länger an, verhärten sich Zwerchfell und Brustkorb. Im weiteren Verlauf geht die Verkrampfung auf den Bauchbereich über, was dann besonders die Bauchspeicheldrüse erfasst. Das ununterbrochene Erfassen-müssen der Außenwelt und das unentwegte Verzichten-müssen auf alles Eigene lässt das eigene Leben nicht zu; nicht einmal den eigenen Atem. Man wird  atemlos!

Es entsteht eine innere Unruhe, die kaum noch als Unruhe empfunden wird. Es ist das ruhelose, unentwegte Beobachten der Außenwelt. Der Mensch ist unentwegt auf der Lauer. Die Unruhe besteht vor allem auch darin, dass das Verweilen bzw. die Entspannung als mögliche Verhaltensweisen völlig ausgeschlossen sind. Sie können nicht stattfinden. Mit „hunderttausend“ Fühlern wird die Außenwelt abgetastet.

Da der Atem bis in die innerste tiefste Schicht fehlt, bis in das Zellinnere, erfolgt kein Austausch an Stoffen, erlahmt der Stoffwechsel. Die Bauchspeicheldrüse verbraucht für die beschriebene Spannung sehr viel vom Kalium sulfuricum, sie ist einem unaufhörlichen Stress ausgesetzt. Wenn er zu lange andauert, kann diese Drüse all ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen. Zuckerkrankheit kann die Folge sein, oder Verdauungsstörungen.

Menschen, die so sehr an der Außenwelt kleben, dass sie sich selbst nicht wahrnehmen können, unterwerfen sich immer wieder Zwängen, die von außen kommen. Für sie gibt es keine andere Möglichkeit, da sie sonst vor dem Nichts stehen, dem inneren Loch, wo sich eigentlich ihre Person hätte entfalten sollen. Bereitwillig, ja sklavisch erfüllen sie die an sie gerichteten Forderungen, die „allgemeingültigen“ Normen, die Erwartungen des „man“.

 

1.5        Verhaltensmodelle, Verhaltensnormen

Sie erwarten aber auch, dass sich alle anderen Menschen diesen Verhaltensmodellen unterwerfen. Jeder, der sie nicht erfüllt, macht ihnen gefühlsmäßig die eventuellen Folgen solchen Verhaltens spürbar, was ihnen enormen Druck mit der damit verbundenen Angst wachruft.

Menschen, die sich nicht nach diesen Verhaltensnormen richten, erinnern an die furchtbaren Konsequenzen, Folgen, die sich auf solche Handlungen eingestellt haben. Allein, um die Erinnerung mit all den damit verbundenen überwältigenden, bedrückenden, fast erdrückenden Gefühlen zu verhindern, wird versucht, den anderen von seinem „verwegenen“ Tun abzuhalten.

Aus der Praxis: So hatte die im vorigen Beispiel genannte Frau jedes Mal, wenn sie versuchte sich gegen ihren Mann zu wehren, unterschwellig dieselben Angstgefühle, die sie vor ihrem Vater hatte. Aus diesem Grunde vermied sie jede Auseinandersetzung mit ihrem Mann. Aber nicht nur sich selbst verbot sie jegliche Form der Eigenständigkeit, welche schon als Auflehnung empfunden wurde, sondern auch ihren beiden Töchtern. Denn jede freie Äußerung bzw. jeder Widerstand der Töchter gegen den Vater brachte die Mutter gefühlsmäßig in die Nähe der Erlebnisse aus ihrer eigenen Kindheit, was sie um jeden Preis verhindern wollte.

Erst als sie sich an die inneren Blockaden herangearbeitet hatte, konnte sie den Töchtern mehr Bewegungsfreiheit geben. Die Hemmung, die sie in ihren Lebensäußerungen ihrem Vater gegenüber entwickeln musste, hatte sich nämlich auf das Verhalten allen Männern gegenüber ausgeweitet. Damit konnte sie lange Zeit ihren Töchtern keine Bewegungsfreiheit gegenüber dem männlichen Geschlecht zugestehen. Dieses Verhaltensmuster hat sich im Laufe der Zeit tief in das Lebensmodell der Töchter eingegraben. An dieser Belastung haben sie immer noch zu arbeiten, vor allem was ihre Beziehungsfähigkeit betrifft.

Eine entsprechende Entwertung und Verurteilung des „Sünders“, der sich nicht nach den „allgemeingültigen“ Regeln verhält, bringt aber nur eine vorübergehende Entlastung.

Wenn Menschen langsam ihrem Inneren auf die Spur kommen, weil sie sich spüren in Form von eigenen Gefühlen, Meinungen, Protesten, Einsprüchen, so fehlt noch immer der Mut, diese und damit sich ins Spiel zu bringen. Sie werden von der Angst beherrscht, dass es nichts Gefährlicheres gibt, als das eigene Leben. In vielen Situationen wird dann das eigene innere Leben zugunsten einer äußeren Anpassung, um keine Vernichtungsgefühle erleben zu müssen, verraten. Was bleibt, ist die Enttäuschung.

Der Ärger ist somit letztlich immer wieder die Erinnerung daran, auf das eigene Leben verzichtet zu haben. Der Ärger zeigt an, dass das eigene Leben übergangen wurde zugunsten einer „Beruhigung“ der inneren Welt. Doch die Person und ihre Sehnsucht nach dem einzigartigen, einmaligen, unwiederholbaren, ureigensten Leben bleibt erhalten. In immer wieder auftauchenden Signalen und Botschaften aus der Tiefe wird daran erinnert.

Erst langsam kann sich so ein Mensch an die Wut heranarbeiten, an die heftige innere Bewegung, die entsteht, wenn der Verrat des eigenen Lebens immer mehr spürbar wird. Diese heftige innere Bewegung verbunden mit intensiven Gefühlen der Enttäuschung über das nicht gelebte Leben wird dann zum Motor für das eigene Leben, so dass es auch nach außen in die Welt und damit zur Welt kommt.

 

1.6        Wichtige Themen bzw. Fragen in diesem Zusammenhang:

Die Geworfenheit an das „man“

Die Angst vor dem eigenen Leben

Steht der eigene Wunsch gegen den des anderen?

Ist der andere zuständig für mein Glück?

Wie ist die Qualität, in der ich für andere da bin?

Wer hat dafür Verantwortung, was ich tue?

Ein Groll, der im Bauch rumort, hat vielleicht mit der Bauchspeicheldrüse zu tun!

Frauen, die geheiratet haben, hören oft: „Früher, was du für ein braves Kind gewesen bist!“

Aufarbeiten von: Tendenz zu unterwürfigem oder unterordnungsbereitem Verhalten.

L’amour est l’enfant de la liberte’.

« Die Liebe ist das Kind der Freiheit“ ein Buchtitel von Markus Lukas Möller.

 

Affirmation

Die befreiende Einstellung zu diesem Mineralstoff heißt: „Auch die eigenen Bedürfnisse haben ein Recht, im Leben umgesetzt zu werden, und sind nicht unbedingt den Interessen anderer im Wege.“


 

[1] Ein häufiger Satz in diesem Zusammenhang: „Was sich der/die herausnimmt!“