1 Zusammenhänge zwischen Nr. 10 Natrium sulfuricum und bestimmten charakterlichen Strukturen
Nr. 10 Natrium sulfuricum ist der Mineralstoff, der mit starken Gefühlen in Zusammenhang steht.
Bei diesem Mineralstoff ist es von größter Bedeutung, den innigen Zusammenhang mit den Geschehnissen auf der Gefühlsebene zu berücksichtigen. Schon in den Ausführungen zu Kalium sulfuricum wurde der fließende Übergang vom Ärger zum Hass aufgezeigt. Wenn allerdings von starken Gefühlen die Rede ist, zeigt sich, dass die Menschen den Umgang damit scheuen, ja dass sie diese Gefühle regelrecht verdrängen.
In Bezug auf Natrium sulfuricum ist es notwendig, den Unterschied zwischen Handlung und Gefühl aufzuzeigen. Dieselbe Handlung wird von verschiedenen Menschen oft unterschiedlich bewertet bzw. gefühlsmäßig eingestuft. Was der eine verwerflich findet, kann für den anderen noch durchaus annehmbar erscheinen.
Auch sollte das Verständnis für Gefühle vertieft werden. Hauptsächlich geht es um den Unterschied:
Das lateinische Wort aggredior (3. gressus sum) hat mehrere Bedeutungen. Es heißt herangehen, sich an jemanden wenden, ihn an-gehen, angreifen, unternehmen, beginnen, versuchen und an etwas gehen. Im Sinne von angreifen werden die hostes genannt. Diese sind aber nicht nur unbedingt die Feinde, sondern auch die Fremden, die Fremdlinge.[1]
Häufig wird das Wort aggressiv als zerstörendes Verhalten gedeutet, was es auf keinen Fall ist. Zerstörung meint Vernichtung. Destruktiv ist jene Eigenschaft, die hinter einer zerstörenden Haltung steht.
Pflegt jemand einen aggressiven Stil in seinem Leben, ist eher eine Haltung gemeint, wie: „Frisch gewagt ist halb gewonnen!“ oder „Jeder ist seines Glückes Schmied!“
Von der Umgebung wird mitunter ein aggressives Verhalten als ein zerstörerisches gesehen. Wie aber soll sich im Leben des Menschen etwas ändern? Manchmal muss Altes zugrunde gehen, damit Neues entstehen kann.
Im Sinne der Wortwurzel hat also Aggression wenig mit negativen Inhalten zu tun, sondern mit einer aktiven, das Leben gestaltenden Haltung. Eigenständiges Handeln wird unter Umständen als Anmaßung empfunden, die sich gegen den anderen richtet. Damit ist sie blockiert. Diese Eigenständigkeit wurde auch lange genug durch eine repressive Erziehung vereitelt. Es wurde meist zu einer reaktiven und nicht zu einer aktiven, gestaltenden Lebenshaltung erzogen. Für den einzelnen ist es oft nicht mehr möglich, von sich aus das Leben zu gestalten. Er wartet, bis er durch äußere Einflüsse zum Reagieren gezwungen ist. Auf lange Sicht entsteht das Gefühl, als ob von außen das Leben bestimmt sei.
Daher entstanden auch viele Formulierungen, welche eine Bestimmung des Lebens von außen formulieren. Menschen behaupten dann, von außen her bestimmt zu werden. „Es hat ja gar nicht anders kommen können!“ - „Das war zu erwarten.“ - „Dem Schicksal kann keiner entkommen!“ - „Schon von Geburt an ist dir alles vorherbestimmt.“ - „Es gibt keine Freiheit!“ usw. Auf diese Art ist es möglich, sich aus der Verantwortung für das Leben zu entziehen. Tatsächlich aber sind diese Formulierungen der Versuch, die passive Lebenseinstellung zu rechtfertigen.
Irgendwie drückt sich das Passive hier schon im „Neutrum“ aus: Es, Alles, Das. So allgemeine Formulierungen zeigen, wie sehr sich die Menschen von außen bestimmen lassen, es eigentlich auch wollen und sich hinter diese Einstellung zurückziehen. Am stärksten drückt sich dieser Tatbestand in der Verwendung des Wortes „man“ aus: „Da kann man halt nichts machen!“ - „Das tut man so!“ - „Man hat das immer schon so gemacht.“
In allzu vielen Formulierungen versuchen viele, sich auf die Umstände hinaus zu reden. Damit entziehen sie sich der Verantwortung für ihr Leben. Letztlich verweigern sie sich dem Leben und erklären sich als Opfer der Gegebenheiten.
Unbestreitbar ist die Tatsache, dass viele Umstände vorgegeben sind, auf welche der einzelne wenig Einfluss hatte oder hat. Aber letztlich befragt das Leben den Menschen dahingehend, was ihm möglich war zu gestalten, aus dem, was er vorfand. In dem sich der Mensch dem stellt, was er vorfindet und es nach seinen Möglichkeiten bearbeitet, liegt das Erkennen einer Aufgabe , sowie die Bewältigung des Lebens .
Doch dieser freien Haltung stehen im Gefühlsbereich Hindernisse dagegen.
1.3 Aktive oder passive Lebenshaltung
Es erhebt sich die Frage, warum gegenüber der aktiven Lebenshaltung eine gewisse Scheu besteht und die passive Haltung eher bevorzugt wird.
Dazu ist es notwendig, wieder einen Ausflug in die Kindheit zu machen. Wenige Eltern ermutigen ihre Kinder, zu ihren eigenen Gefühlen zu stehen. Dann müssten sie sich nämlich auch mit deren Protesten, Widersprüchen und Eigenwilligkeiten auseinandersetzen. Bequemer ist es, aber auch das eigene Leben blockierend, das Kind zu zwingen, sich nach den Erwachsenen auszurichten. So lernt es, nicht die eigenen Empfindungen für wahr zu halten, sondern alles, was ihm von den Erwachsenen als wichtig und richtig beigebracht wurde. Aus der Not des Ausgeliefertseins heraus bringt das kleine Menschenkind das Opfer und verzichtet auf das eigene Leben. Das ist der Beginn der Entfremdung von sich selbst.
Allzu oft wurde abenteuerlustigen, aufrichtigen, jungen Menschen vorgeworfen, dass sie frech seien, unverschämt, maßlos, rücksichtslos, bedrohlich und überheblich. Unter dem Druck der Anklage bricht die Eigenständigkeit oft genug zusammen.
Im weiteren Leben spielen dann immer die anderen Menschen eine wichtige Rolle. Das Thema Rücksicht ist dabei vorherrschend. Immer wieder wird gefragt: „Was werden wohl die Leute dazu sagen?“
Das betrifft nicht nur, wie man unter Umständen meinen möchte, die älteren Semester. Gerade die jungen Menschen haben sehr strenge und oft enge Vorschreibungen, Vorschriften, Vorstellungen für ihr Leben in jenen Gruppen, in denen sie sich bewegen. Die Verhinderung bzw. Unterdrückung des eigenen Lebens zeigt sich bei ihnen nicht wie üblicherweise formuliert wird, in einem aggressiven, sondern in einem zerstörenden Verhalten. Das Maß an Zerstörung weist auf ein Gespür für die innere Verwüstung hin.
Ein aggressives Verhalten ist der Jugend auf jeden Fall zuzugestehen, zeigt es doch, wie sehr sie sich am Leben beteiligen und es in die eigene Hand nehmend gestalten wollen! Es wäre dann möglich, auf neue, unbekannte, spannende Antworten in bezug auf Fragen des Lebens einzugehen; die Jugend könnte Möglichkeiten aufzeigen, die die in ihrer Passivität resignierenden Erwachsenen nie hätten entwickeln können. Vielleicht erreichen dann die Impulse der jungen Generation die verschütteten Ebenen der Erwachsenen, wodurch diese wieder lebendiger würden.
Durch das Wegdrücken seiner Gefühle, der Entfremdung seines Gefühlslebens, wird der junge Mensch in eine zwanghafte Reaktionshaltung hineinmanipuliert. Er muss eine enorme Kraft aufwenden, um dem aufgestauten Druck an Gefühlen nicht zu unterliegen. Er hat Angst, würde der Deckel seines „Hochdruckkochtopfes“ abgehoben. Dann könnte er seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle halten, sondern er wäre ihr Sklave.
Er hat nicht nur bei sich selbst, sondern auch bei den „kontrollierten“ Erwachsenen erlebt, dass manchmal die Gefühle zum „Durchbruch“ kommen. Im wahrsten Sinne nämlich! Der entstandene Überdruck ließ sich nicht mehr steuern, wodurch sich der Gefühlsschwall über den Menschen ergoss. Er war dabei weitestgehend unkontrolliert, unter Umständen ließ er sich zu Handlungen hinreißen, die er sonst nie begangen hätte. (Im Affekt, wie dann formuliert wird.) Die Angst vor den Gefühlen wächst dadurch immer mehr.
Er ist damit von zwei Seiten umzingelt:
Der Versuch, zum eigenen Leben zu kommen, ist oft von Unbeholfenheiten und Ungeschicklichkeiten gekennzeichnet. Die Zwickmühle, in der sich der Betroffene befindet, behindert lange Zeit alle Bemühungen. Kommen sie trotzdem einmal nach außen, zeigen sie durch ihre Vehemenz die innere Unfreiheit auf.
Hier drückt sich deutlich ein zwanghaftes Verhalten aus, weil zwischen Handlung (aktives Gestalten) und Reaktion als passive Abwehr (zur Schadensbegrenzung) schwer unterschieden werden kann.
In dieser ganzen angespannten Situation gelingt kein lebendiges Gefühlsleben mehr. Dieses müsste nämlich drei Bereiche umfassen:
1.6 Kontrolle oder freier Fluss
Die Scheu vor Gefühlen, besonders vor starken Gefühlen, besteht in der Angst, die Kontrolle zu verlieren. Dabei wird, wie schon oben beschrieben, übersehen, dass ein Unterschied besteht im Empfinden eines Gefühles, dem Ausdruck, der einem Gefühl nach außen verliehen wird, und den daraus sich ergebenden Handlungen. Für stark gefühlsgebundene Menschen ist es schwer, diese drei Bereiche auseinander zuhalten und für sich stehen zu lassen.
Die innere Distanz, die ab der Pubertät zu den eigenen Gefühlen gewonnen werden sollte, um erwachsen zu werden, bedeutet keine Abkühlung der Gefühle wie bei ihrer Unterdrückung. Die Distanzierungsfähigkeit bedeutet, dass die Person den erlebten Gefühlen „gegenübertreten“ kann, ohne in sie hinein gefangen zu sein. Wird sie konsequent geübt, verliert sich die Scheu vor den Gefühlen. Auch wird die Zensur für erlaubte und nicht erlaubte Gefühle in der Folge immer schwächer. Der immer freiere Fluss der Gefühle führt zu einer Erlebnisfähigkeit, welche den Menschen der Fähigkeit des Genießens immer näher bringt.
In dieser Hinsicht besteht ein enormer Aufholbedarf, was die Erlebnisfähigkeit von Gefühlen betrifft. Steckt jemand zu sehr in den Gefühlen, gibt es keine Erlebnisfähigkeit, dann leben die Gefühle den Menschen. Die Person, die zum Erleben der Gefühle fähig wäre, ist dabei zu sehr in die Gefühle hinein verstrickt, ist ein Opfer der Gefühlsverwirrungen.
In der Erziehung fällt die Ermutigung und Förderung einer Gefühlskultur im Sinne einer Achtsamkeit völlig unter den Tisch! Nur wenn die jeweiligen Gefühle des heranwachsenden Menschen „gesehen“ werden im Sinne von beachtet und geachtet, erlebt dieser seine Gefühlswelt als eine wesentliche eigenständige Bezugsmöglichkeit zur Welt. Wird er auf diese Weise in seinem Leben begleitet, wird ihm geholfen, das erlebte Leben sinnstiftend zu deuten. Die Zusammenhänge im Leben werden fühlbar und spürbar. Die Bezugnahme auf eine Autorität, von der die Orientierung im Leben diktiert wird, erübrigt sich. Die einzige zu akzeptierende Autorität ist die eigene Person, ist die innere eigene erlebte, gefühlte und gespürte Welt.
Das eigenständige Gefühlsleben, durch das das Leben glaubwürdig gedeutet werden kann, verhilft ihm zu einer wahren Emanzipation gegenüber den Erwachsenen. Die Abhängigkeit verliert sich immer mehr, so dass es ihm möglich ist, sich auf seine „eigenen Beine“ zu stellen.
Vielfach gelingt eine solche Erziehung nicht. Dadurch wird verständlich, dass die Menschen gelernt haben, ihre Gefühle zu überspielen. Es wird gelacht, wo es zum Weinen ist, auf Härte gespielt, wo Mitgefühl angezeigt, auf Vernunft getrimmt, wo Einfühlungsvermögen am Platz gewesen wäre.
Vor allem sind die starken Gefühle von der Verdrängung bedroht. Sie dürfen kaum leben und werden oft mit einer Art von Freundlichkeit überspielt, bei der das „freundliche Lächeln“ im Gesicht „festgefroren“ ist. Nach außen wird oft gelebt, womit innerlich überhaupt keine Übereinstimmung besteht. Nach vielen Jahren der Unterdrückung der starken Gefühle, der Vermeidung von Situationen, in denen starke Gefühle entstehen könnten, der Entfremdung vom eigenen Empfinden, verkümmert die Fähigkeit zur inneren Stellungnahme.
In dieser Situation wird es dem Menschen unmöglich, mit den überaus starken Lebensausdrücken von Wut, Zorn und Hass zurechtzukommen. Doch sie bestehen und wenn sie nicht leben dürfen, wirken sie in unterschwelligen Schichten. Sie verursachen Fehlhandlungen, missverständliche Aktionen und Abreaktionen, damit ist das Loswerden von aufgestauten Gefühlen in Form von Affekten gemeint, an unschuldigen Opfern.
Wut, Zorn und Hass sind einander sehr nahe Gefühle, und haben mit einer andauernden Verhinderung des eigenen Lebens zu tun. Sie richten sich oft nach außen, auf Personen, die vermeintlich das eigene Leben unterdrücken. Beim Erwachsenen sind dies meist Übertragungen, denn der tatsächliche Feind des eigenen Lebens steckt in ihm selbst. Es ist dies die Zwanghaftigkeit, mit der der Mensch an eine Struktur gefesselt und damit ihr ausgeliefert ist.
Die Übertragung nach außen hilft lange Zeit, den inneren Druck, mit dem die eigene innere Stellungnahme zum Leben unterdrückt wird, nicht wahrnehmen zu müssen. Solange andere dafür zuständig sind, dass es im Leben schlecht geht, kann sich die starke Gefühlsbewegung auf ein „Opfer“ richten.
Doch niemand ist nur das beklagenswerte Opfer, oft genug spielt das Opfer mit, ganz im Sinne von: „Das Opfer sucht seinen Täter.“ Allerdings war er lange vorher schon einmal im Zugzwang, durch den er die mit Angst besetzte Verkettung an eine Struktur ausgebildet hatte, die ihn nun nicht mehr frei lässt. Er fühlt den Zwang so stark, dass er glaubt, nicht „anders zu können“.
Solange der Sprung von außen in das eigene Innere nicht gelingt, kann die Empörung über die Unterdrückung des eigenen Lebens nicht gegen die behindernde Blockade gerichtet werden. Die Überwindung einer solchen Zwanghaftigkeit braucht eine intensive Sprengkraft, welche in den starken Gefühlen von Wut, Zorn und Hass enthalten ist. Erst so starke Bewegungen können aus den Umklammerungen der Angst befreien.
Es ist dies haargenau dieselbe Angst, die vor den Menschen bestand, die zum zwanghaften Leben gezwungen haben. Der Unterschied besteht im Alter, was die Möglichkeit der Bewältigung eröffnet. Dabei muss nicht mit dem dafür zuständigen Erwachsenen die Auseinandersetzung gesucht werden, soferne er überhaupt noch lebt, sondern sie findet einzig und allein innerhalb der Person statt. Die Angst bleibt in diesem Prozess dieselbe, doch die Stärke der Person wächst, so dass sie der Angst standhalten kann!
Hier geht es um eine radikale Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Auch wenn es manchmal erschreckend ist, was an Bildern mit diesen starken Gefühlen verbunden ist, sollte den Gefühlen innerlich freier Lauf gelassen werden. Äußerlich hängt es von der Persönlichkeit des einzelnen ab, wie er diesen inneren Vorgängen nach außen in angemessener Weise Gestalt verleiht.
Die Einübung in der Auseinandersetzung mit Emotionen muss vom „ersten“ Tag des Lebens eines Kindes eingeübt werden, indem sie ernst genommen, d.h. angehört und ausgesprochen werden sollen. Lösungsmodelle für Konfliktsituationen können miteinander erarbeitet, besprochen und geübt, sollen aber nicht übergestülpt werden.
Wie anfangs dargestellt, bildet das kleine Kind und auch später unter dem Druck des Gefühles von Bedrohung Lebensmodelle aus, womit es ihm möglich ist, die anstehende Situation zu bewältigen. Je bedrängender die Situationen sind, umso tiefer die Furchen, welche die Forderungen im Charakter des Menschen hinterlassen.
Außerdem wird dieser Vorgang durch die Erwachsenen dadurch immer wieder bestärkt und bestätigt, als im Reden der Menschen hauptsächlich Bilder von der Bedrohung des Lebens heraufbeschworen und formuliert werden.
In den Institutionen, vor allem in der Schule, werden oftmals Antworten auf Situationen und auf Fragen gegeben, die sich im Leben der Kinder gar nicht stellen. Immer tiefer geht der Riss durch die Seele des Heranwachsenden zwischen den Themen, mit dem er im alltäglichen Leben konfrontiert ist, und den Themen, mit denen er sich in der Schule herumschlagen muss. Es ist dies ein Teufelskreis von der Entfremdung des Lebens: Je mehr Antworten er auf Fragen auswendig lernt, die sich ihm im Leben gar nicht stellen, umso weniger versteht er sein Leben. Je weniger er allerdings sein eigenes Leben versteht, er nicht mehr spüren kann, worum es in den betreffenden Situationen geht, umso mehr ist er auf „auswendig gelernte Verhaltensweisen“ in Form von „Benimm dich Regeln“, Moralforderungen, Verhaltensregeln, oder „man“ Bestimmungen angewiesen.
In der Schule in das andere Extrem zu fallen und nur mehr Themen aus dem Leben der Kinder und Jugendlichen zu wählen, wäre ebenso falsch. Erleben die Heranwachsenden, dass ihr Leben mit den damit verbundenen Problemen in entsprechenden Veranstaltungen ernst genommen wird, sind sie auch bereit, sich auf Themen einzulassen, die mit ihrem Leben nichts (oder noch nichts) zu tun haben.
Zusammenfassend kann der Schluss gezogen werden, dass alle Modelle, Strukturen und Strategien, die ein Mensch lebt, irgendwann einen Sinn gehabt haben. Das Leben ist ein Lernprozess für den, der lernen will. Alle einmal erworbenen Formen des Lebens unterliegen allerdings Anforderungen, die Veränderungen bzw. Anpassung an veränderte Verhältnisse verlangen. Manche Formen werden als nicht mehr anwendbar zurückgelassen.
Da aber das Leben nicht stehen bleibt, sollten neue Antworten, dem Alter und der Situation angemessene, entwickelt werden. Auf diese Situation wird, wenn es sich um wesentliche Verhaltensmodelle handelt, aufgebracht reagiert, was verständlich ist. Erst wurde so viel Mühe aufgebracht, so viel Einsatz aufgewendet, die entsprechende Situation zu bewältigen und jetzt sollte man die einmal gegebene Antwort auf einmal nicht mehr anwenden können.
Wie verunsichernd, ja bedrohlich ist es plötzlich, dass eine als Wert gespürte und in den Erfahrungsschatz geborgene Antwort auf das Leben nun nicht mehr in das Muster passt, in das Rasterspiel von Frage und Antwort, das man sich mühevoll angelegt hat, um nicht hilflos zu sein. Es besteht ein unabdingbares Recht darauf, diese einmal gegebene Antwort für sehr wertvoll zu halten. Sie entsprang den Erfahrungen und eigenen Mühen und wurde unter großem Einsatz entwickelt. So eine Antwort hat in der Biographie des jeweiligen Menschen den ihr eigenen Stellenwert.
Die Versuchung, an ihr hängen zu bleiben, auf ihr zu beharren, sich auf sie zu versteifen ja sich darauf festzufahren und sie in das eigene Leben hinein zu zementieren, ist sehr groß. Der Abschied von ihr fällt nicht leicht. Es ist durchaus berechtigt, von Trauerarbeit zu sprechen. Der Lockerungs- bzw. Lösungsvorgang geht über eine Zeit der Verunsicherung, der Destabilisierung. Viel hängt in dieser Situation von der Mentalität und der begleitenden bzw. erziehenden Umgebung ab, wie flexibel oder starr sie war.
Falsch wäre es, an der einmal gegebenen Antwort zu kleben und im Groll gegen die ungerechte Welt zu verharren. Aus dem Groll wächst bei angestautem Entwicklungsdruck (wenn also immer wieder an den eingefleischten Einstellungen und Haltungen festgehalten wird) die Wut auf Menschen, die Veränderung herausfordern, oft ohne lebbare Alternativen aufzuzeigen. Aus der Wut wächst der Zorn und schließlich ein zerstörender Hass.
Der Mensch merkt selbst, dass er jedes mal sein Leben unterdrückt, wenn er Angst vor Veränderungen hat, die der andere zu Recht einfordert. Es entwickelt sich ein Hass, eigentlich der Hass auf sich selbst, weil er sein Leben, seine eigene Entwicklungsmöglichkeit verleugnet. Als Ausdruck seines Gefühls geht er auf den anderen los, auf sein Gegenüber, weil er der Angst vor der Veränderung bei sich selbst nicht begegnen will und hilflos ist.
Er kann sich Veränderungen nicht vorstellen.
Die Zerstörung durch den Hass richtet sich letztlich nicht auf das Objekt des Hasses. Tatsächlich verseucht die Haltung der absoluten, gefühlsmäßigen Ablehnung eines Wesens oder Umstandes, den Hassenden selbst.
Selbst diese Entwicklung ist letztlich nicht abzulehnen, wenn sie nicht allzu lange dauert und nach einer Zeit der Einkehr und Besinnung eine Wende erfolgt. Für die vorübergehend belastenden Gefühlsstoffe ist im Körper sicher genug Natrium sulfuricum zum Abbau und zur Ausscheidung vorhanden. Bedenklich wird der Vorgang nur, wenn der Mensch über Jahre und Jahrzehnte und womöglich ein ganzes Leben lang auf der Unversöhnlichkeit beharrt.
Die Versöhnung mit dem Leben und den damit verbundenen Herausforderungen gehört mit zu den entscheidenden Grundhaltungen des Menschen. Gelingt sie ihm, bewegt er sich immer wieder in neue Räume, fügt einen Mosaikstein nach dem anderen in sein Lebensmosaik. Diese Mosaiksteine bzw. Ereignisse sind nicht ursächlich aneinander geknüpft. Sie zeigen sich, je nach Situation und Gegebenheit. Das Leben unterliegt keiner zwanghaften linearen Entwicklung!
In der Erziehung sollte der Ermutigung des Menschenkindes viel Raum gegeben werden, damit das Vertrauen in die eigene Lebensfähigkeit wächst; in die Fähigkeit, sich dem Leben zu stellen und damit im Fluss des Lebens zu sein.
Affirmation
Die befreiende Einstellung zu diesem Mineralstoff heißt: „Der andere ist anders als ich, das gefährdet weder ihn noch mich. Ich bin anders als er, und lebe daher auf meine eigen-e Art.“
[1] Wortbedeutungen nach: Der kleine Stowasser, Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 1964